Prolog

Leben & Werk von Dr. Carl Lüderitz
Von Paul Enck, Gunther Mai und Michael Schemann

Diese Geschichte haben nicht wir uns ausgesucht, sondern sie hat sich quasi uns ausgesucht: Im August 2018 suchte Michael Schemann, Professor für Humanbiologie an der Technischen Universität München und Experte auf dem Gebiet der Magen-Darm-Physiologie, für einen Vortrag ein Foto von Dr. Carl Lüderitz und einem weiteren, englischen Wissenschaftler (James Ritchie) und rief mich, seinen Kollegen und langjährigen Freund Paul Enck, Professor für Medizinische Psychologie und Forschungsleiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen, in dieser Frage an. Meine spontane Antwort: „Das kann nun wirklich nicht so schwer sein“ wurde schnell eines Besseren belehrt, denn die noch am gleichen Tag gestartete stundenlange Internetrecherche nach James Ritchie ergab kein Ergebnis. In meiner frustrierten Antwort-Mail an Schemann am gleichen Abend fragte ich: „Und wie hieß der Andere? Carl Lüderitz, aus Jena?“ Doch auch hier fand sich so gut wie nichts: kein Eintrag in Wikipedia, bis auf einige wenige Publikationen keinerlei Informationen zu seiner Herkunft, seinem Werdegang, seiner Arbeit und seinem Leben, außer der Gewissheit, dass er der Erstbeschreiber des peristaltischen Reflexes ist, die Grundlage aller neurogastroenterologischen Forschung (1): Nerven in der Darmwand steuern, dass der Darminhalt vorwärts bewegt wird und nicht steckenbleibt - solange der Darm gesund ist.

Was als Suche nach einem Foto begann, kumulierte schnell - nachdem wir den Wohnort Berlin gefunden hatten - zu einer Recherche über die Herkunftsfamilie und die Nachkommen, und im Zusammenhang mit dem Aufspüren eines Bruders von Carl, Herman Lüderitz, Konsul des Deutschen Reiches in Marokko um die Jahrhundertwende, fanden wir den dringend notwendigen Historiker Gunther Mai, Professor emeritus an der Universität Erfurt, der uns vor dilettantischen historischen Einordnungen und allzu viel Spekulationen bewahren sollte und konnte. Seitdem rekonstruieren wir drei, mit wechselnder Intensität, aber auf hohem Niveau, die Familiengeschichte der "Lüdis" von 1700 bis in die Gegenwart, haben inzwischen mehr als 100 Personen identifiziert, die in der einen oder anderen Weise mit Carl Lüderitz verbandelt sind, haben 1.000 und mehr Dokumente und Urkunden gesammelt, und 10.000 Akten (digital oder analog) durchsucht. Viele, aber nicht alle Personen werden in dieser Sammlung von 30 Geschichten auftauchen, die nicht immer in der chronologischen Reihenfolge erzählt werden; manche Geschichten beschränken sich auf eine Generation, viele sind Generationen-übergreifend. Alles ist so dicht wie möglich an der Realität erzählt, soweit sich diese aus Akten rekonstruieren lässt, und wo Fiktion ins Spiel kommt, ist diese benannt.

Ein Foto von Carl Lüderitz haben wir immer noch nicht – aber ein Gemälde (siehe unten), und eine Freundin meinte neulich, dass wir, hätten wir früh ein Foto gefunden, vermutlich nicht so weit und tief und lange gegraben hätten - aber wie bereits gesagt: Wir haben uns die Geschichte nicht ausgesucht, sie hat uns gesucht und gefunden.

Wir danken Renate Ehrlich, Berlin u. Matthias Lüderitz, Eutin für das Auffinden u. Bereitstellen des Bildes. Es zeigt Hermann Lüderitz (Konsul), Elisabeth Lüderitz (Malerin), Mutter Lucie Lüderitz geb. Neider sowie die Söhne Albert u. Carl Lüderitz (v.l.)