Militärdienst und Medizinalassistenz

Die Rekonstruktion der Lüderitz-Familiengeschichte (Übersicht - Teil 2)

Carl Lüderitz meldete sich nach seinem Staatsexamen zum Militärdienst. Als sogenannter „Einjährig-Freiwilliger“ war seine Pflichtzeit auf ein Jahr begrenzt, obwohl im Jahr 1877 die Wehrpflicht im deutschen Kaiserreich in der Regel zwei Jahre betrug. Es ist unbekannt, ob er seinen Militärdienst in Jena oder Berlin ableistete. Jena war zu dem Zeitpunkt Standort des III. Bataillon des 5. Thüringischen Infanterieregiment Nr. 94 Großherzog von Sachsen (1867 bis 1919). In seinem kurzen Lebenslauf am Ende der Habilitation (4) erwähnte Carl, dass er „ein Jahr hindurch seinen militairischen Pflichten Genüge geleistet“ habe. Die Einjährig-Freiwillige Militärzeit setzte ausreichende Finanzen voraus, da Unterkunft und Ausstattung selbst finanziert werden mussten. Darüber hinaus musste der Anwärter die mittlere Reife (Sekundarreife) an einem Gymnasium oder einer Mittelschule erworben haben. Aus diesem Grund wurde das Examen der Mittleren Reife lange Zeit auch als „das Einjährige“ bezeichnet. Als Freiwilliger konnte man sich die Waffengattung aussuchen. Da Carl erst nach seiner Militärzeit im April 1878 die Stelle des Assistenzarztes an der Landesanstalt Jena antrat, muss ihn die Familie unterstützt haben. Ansonsten hätte er die notwendigen Finanzen nicht aufbringen können.

Carl wurde Assistentsarzt (als cand. med. Hilfsarzt) an der Medizinischen Klinik unter dem Direktor Hermann Nothnagel in Jena (SS 1878 bis WS 1881/82) und wohnte in Jena in der Bachgasse 417-418, gleichzeitig die Adresse der Grossherzoglichen Landes Heil-, Irren- und Pflegeanstalten, somit vermutlich seine "Dienstwohnung". Nothnagel war dort der Lehrstuhlinhaber für Physiologie und Direktor der Medizinischen Klinik. "In den Jahren 1788-91 wurden die zu Beginn der 80er Jahre auf dem Gelände in der Bachstraße ... gegründeten Privatkliniken in eine aus Staatsmitteln finanzierte Einrichtung, das Medicinisch-Chirurgisch-Klinische Institut, umgewandelt. 1803 errichtete die Stadt Jena ein Krankenhaus ... in das jeder Landesangehörige gegen Erstattung der Verpflegungskosten aufgenommen werden konnte ... Hatten die Jenaer Medizinstudenten um 1800 die Kranken überwiegend noch in ihren Wohnungen zu besuchen und zu behandeln, setzte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die stationäre Betreuung mehr und mehr durch. Die Bettenzahl ... stieg allein zwischen 1880 und 1900 von 279 auf 539" (5). Wir werden an anderer Stelle noch mal auf die Krankenhauszustände, selbst an so renommierten Einrichtungen wie der Berliner Charité, ausführlicher eingehen.

Gegen Ende seiner Ausbildung übernahm Carl im September 1876 die Praxisvertretung von Albert Nothnagel, Dorfarzt in Alt-Lietzegöricke, einem kleine Ort auf der östlichen Oderseite (Stare Łysogórki, heute Polen), und Vater seines Jenaer Chefs Hermann Nothnagel, worüber der in einem Brief an seinen Freund Dr. Schröder (vom 1. Oktober 1876) zu berichten weiß: "... und dann hatte sich mein alter Papa zum ersten Male seit 38 Jahren aus seiner Praxis auf 8 Tage losgemacht, und zwar ohne Sorgen, weil Carl Lüderitz ihn vertrat (ja, so weit ist der schon!)" ((2), Seite 409) - nach vier Jahren Medizinstudium und sechs Jahren, bevor er nach Berlin ging, um den Spagat zwischen Wissenschaft und ärztlicher Tätigkeit zu wagen.

Quellen:

(2) Max Neuburger. Hermann Nothnagel - Leben und Wirken eines Deutschen Klinikers. Rikola Verlag, Wien 1922

(4) Carl Lüderitz: Versuche über die Einwirkung des Druckes auf die motorischen und sensiblen Nerven. Zeitschrift für klinische Medicin 1880; Band II, Heft 1, (Habilitationsschrift).

(5) https://www.uniklinikum-jena.de/Uniklinikum+Jena/Wir+über+uns/Portrait/Geschichte.